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Was hat Resilienz mit Kontakt zu tun?

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Was hat Resilienz mit Kontakt zu tun?

von

Gabriele Blankertz Vortrag beim Berliner Gestalt-Salon Abend vom 01.März 2024

Die Aufzeichnung des Vortags ist hier anzusehen (klicken)

Wie bin ich zu dem Thema Resilienz gekommen? Es gibt bedrohliche Entwicklungen in der Welt und um uns herum. Krisen, Kriege, Herausforderungen. Sie betreffen unter anderem Menschen, die aus Krisenregionen in Deutschland Zuflucht gesucht haben; mit einigen von ihnen arbeite ich seit Jahren. Immer wieder stehe ich vor der Frage, wie ich sie unterstützen kann, um mit den Herausforderungen besser fertig zu werden. Aber ich muss zugeben, dass sie Krisen und Kriege auch mir selber immer näher kommen zu scheinen. Die Frage der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit gegen die wirklichen oder scheinbaren Bedrohungslagen, ist zu einer eigenen existenziellen Frage geworden. In diesem Gestalt-Salon möchte ich mit Ihnen/euch ins Gespräch kommen über das Thema Resilienz. Dazu stelle ich ein paar von meinen Überlegungen über den Zusammenhang des Resilienz-Konzepts mit den Grundlagen der Gestalttherapie vor, die als Impuls und Anregung zu unserem gemeinsamen Austausch von Erfahrungen dienen.

Zunächst ein paar Worte zum Begriff Resilienz, damit wir uns klar werden, worüber wir sprechen. Resilienz beschreibt die Widerstandsfähigkeit eines natürlich-biologischen oder künstlich-technischen Systems gegenüber Störungen von außen oder innen; in unserem Zusammenhang heißt Resilienz die psychische Widerstandsfähigkeit angesichts belastender Lebensereignisse. In der Fachliteratur habe ich Unterscheidungen zwischen drei Arten der Resilienz gefunden:

  1. Resilienz als (Stress-)Resistenz – Individuen bleiben psychisch stabil trotz Stressbelastung.

  2. Resilienz als (schnelle) Regeneration – auch als „normativer Anpassungsprozess“ bezeichnet

  3. Resilienz als Rekonfiguration – die Bewältigung einer traumatischen kann es erfordern, Verhaltensweisen und zentrale Kognitionen (Vorstellungen, Meinungen, Wünschen etc.) zu verändern.

Als Auslöser oder „Stressoren“ gelten drei Kategorien:

  1. Alltagsstressoren

  2. Kritische Lebensereignisse

  3. Traumatische Erfahrungen

Alles schön und gut, aber wie erreicht man Resilienz? Kann man Resilienz fördern? Durch Therapie? Durch welche Interventionen? Eigentlich eine der Gestalttherapie naheliegende Fragestellung, geht es uns Gestalttherapeuten doch weniger um die Diagnose und Behandlung von Krankheit als vielmehr darum, das Selbst im Kontakt mit der Umwelt zu stärken.

Unabhängig von der Gestalttherapie entstand in den 1970er Jahren das Konzept der Salutogenese. Das Kunstwort ist zusammengesetzt dem lateinischen Wort für Gesundheit, salus, und dem griechischen Wort für Entstehung, genesis (γένεσις). Es geht bei der Salutogenese darum, die Bedingungen der Entstehung oder vorbeugenden Erhaltung der Gesundheit zu erforschen. Der Begriff stammt von dem israelisch-amerikanischen Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923-1994).1

Das Modell der Salutogenese geht von einem Kontinuum mit den Polen Gesundheit und körperliches Wohlbefinden auf der einen Seite und Krankheit und körperliches Missempfinden auf der anderen Seite aus. Antonovsky fragt: „Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umwelt­bedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?“

Das könnte auch von einem Gestalttherapeuten stammen. Wenn wir im Organismus/Umwelt-Feld in der Lage sind unsere Bedürfnisse mit den Umwelt- Gegebenheiten immer wieder neu und problemlos abzustimmen, fühlen wir uns im Fluss, selbstwirksam, widerstandsfähig und resilient.

Antonovsky interessiert sich nicht für spezifische Krankheits-Symptome, sondern für die Frage an welchem Punkt ein Organismus seine Ordnung nicht mehr aufrecht-erhalten kann. Er spricht von einem „Zusammenbruch des Organismus“. Anstatt auf Bekämpfung krank machender Einflüsse, setzt der salutogenetische Ansatz auf die Stärkung von Ressourcen, um den Organismus gegen schwächende Einflüsse widerstandsfähiger zu machen. Das ressourcenorientierte Denken veranlasst zur Berücksichtigung der ganzen Person mit ihrer Lebensgeschichte sowie zur Beachtung des gesamten Systems, in dem die Person lebt. Die individuelle Geschichte einer Person ist deshalb wichtig, weil sich nur in Kenntnis aller Lebensaspekte einer Person die Ressourcen auffinden und fördern lassen, die zur Genesung der Person beitragen können. Vergleichbar mit dem Feldtheoretischer Ansatz.

Antonovsky sieht den Gesundheits- bzw. Krankheitszustand eines Menschen im Wesentlichen durch eine allgemeine sowohl kognitive wie affektiv-motivationale Grundhaltung eines Individuums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben bestimmt – seine Weltanschauung. Diese Grundhaltung bezeichnet er als Kohärenzgefühl – Kohärenz bedeutet Zusammenhang und Stimmigkeit.

Das Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung, die das Ausmaß ausdrückt, in dem jemand ein durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass

1. die Anforderungen aus der inneren oder äußeren Erfahrungswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind und dass

2. die Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Anforderungen gerecht zu werden. Und

3., dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investition und Engagement verdienen.

Das Kohärenzgefühl setzt sich also aus 3 Komponenten zusammen:

  1. Gefühl der Verstehbarkeit (kognitives Verarbeitungsmuster)

  2. Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit (kognitiv-emotionales. Verarbeitungs­muster)

  3. Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit.

Ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl führt dazu, dass ein Mensch flexibel auf Anforderungen reagieren kann. Somit ist das Kohärenzgefühl ein flexibles Steuerungsprinzip.

Ob ein starkes oder schwaches Kohärenzgefühl entwickelt wird, hängt nach Antonovsky vor allem von gesellschaftlichen Gegebenheiten ab, nämlich der Verfügbarkeit sogenannter „generalisierter Widerstandsressourcen“.

Antonovsky meint damit, individuelle, soziale und kulturelle Faktoren, die eine erfolgreiche Bewältigung von Stressoren aller Art erleichtern und damit die Widerstandsfähigkeit erhöhen.

Sind generalisierte Widerstandsressourcen vorhanden, die wiederholt konsistente Erfahrungen ermöglichen und die Einflussmöglichkeiten sowie eine Balance von Über- und Unterforderung beinhalten, dann entsteht mit der Zeit ein starkes Kohärenzgefühl.

Die Bewältigung von Spannungszuständen ist für Antonovsky die zentrale Aufgabe des Organismus. Gelingt die Spannungsbewältigung, so hat dies eine gesund erhaltende bzw. gesundheitsförderliche Wirkung. Misslingt die Spannungsbewältigung, so entsteht Stress.

Die soziologische Aufdeckung von gesellschaftlichen oder biografischen Bedingungen, die zur Widerstandsfähigkeit, also Resilienz, gegen Stressoren oder gar Traumata führen, ist das eine. Aber sind schlechte Umweltbedingungen oder sind Mängel in der Sozialisation ein unüberwindbares Schicksal, ist das daraus folgende Defizit an Resilienz etwas, das man tatenlos akzeptieren muss? Oder gibt es Möglichkeiten, die Resilienz durch therapeutische, psychoedukative Interventionen zu stärken?

Im Zentrum der gestalttherapeutischen Praxis steht die Arbeit an und Wiederbelebung von eingefrorenen Prozessen der Selbst-Aktualisierung, damit wir unser Potential/Ressourcen wirklich zur Verfügung haben und im Fluss des Lebens auch mit stärkeren Turbulenzen klarkommen. Das hört sich nach einem guten salutogenetischen Ansatz an, um die Resilienz zu stärken.

Was meinen wir mit Selbst-Aktualisierung? Das Selbst wird in der Gestalttherapie-Theorie prozesshaft gedacht. In einem fortwährenden Austausch mit der Umwelt, von der wir etwas aufnehmen oder zurückweisen, uns mit Teilen identifizieren oder entfremden verändern und aktualisieren wir uns selbst. Wer wir als drei Jährige waren und wie wir uns damals verhalten haben, passt nicht mehr zu unserem erwachsenen Selbstverständnis, auch wenn wir uns vielleicht an manche Erfahrungen von damals erinnern mögen. Traumatische oder stark vernachlässigende Erfahrungen in der Kindheit führen allerdings dazu, dass dieser Regulierungsprozess an der Kontakt-Grenze gestört wurde. Dies kann zur Folge haben, dass man auch als Erwachsener Schwierigkeiten hat, klar zu spüren, was einem gut tut und was nicht. Da man die eigene Grenze als Kind nicht sichern konnte, bleibt oft eine Unsicherheit zurück, wo man eine Grenze setzen möchte oder auch sich traut für sich selbst einzutreten. So kann es sein, dass wir uns als Erwachsene in manchen Situationen wie ein kleines Kind fühlen, das sich nicht schützen, sich nicht selbst behaupten kann. Ein Teil ist nicht mitgewachsen, ist in einer erstarrten Form, einer Fixierung des Verhaltens, quasi in der Kindheit stecken­geblieben und hat sich also nicht aktualisiert.

Dieser Prozess der Selbst-Aktualisierung wird theoretisch beschrieben im Kontakt-Modell der Gestalttherapie, das in der kreativen dynamischen Anpassung des Individuums an seine soziale Umwelt eine gesunde und damit Resilienz stärkende Entwicklung sieht.

Mit dem Kontakt-Modell der Gestalttherapie lässt sich dieser Prozess gut beschreiben.

Als kreativ oder gelungen wird ein Anpassungsprozess dann angesehen, wenn dieser nicht automatisch einseitig an die Umwelt geschieht, sondern das Individuum für seine Interessen und Bedürfnisse (gegenüber der Gesellschaft, Anderen, etc.) eintritt und damit auf die Umgebung verändernd einwirkt. Dies wird dann als Selbstwirksamkeit erlebt und ist somit stärkend. In Einschätzung der eigenen Bedürfnisse, Kräfte, Fähigkeiten, Ressourcen und der Möglichkeiten, die das Umfeld bietet, wird um eine Lösung gerungen. Wird dieser Prozess nicht vorzeitig unterbrochen, sondern bis zur Bedürfnisbefriedigung durchgezogen, ist er kraftvoll und das Selbst stärkend. Resilienz wird aufgebaut. Eine vorzeitige Befriedung oder ein Aufgeben der eigenen Bedürfnisse und Interessen schwächt.

Schwächend und krank machend sind Prozesse dann, wenn Störungen im Kontaktprozess des Individuums mit seiner Umwelt vorliegen, besonders wenn sie chronifiziert sind und nicht mehr bewusst wahrgenommen werden. Sie sind mehr oder weniger im automatischen Handeln, der Körperhaltung, in Spannungszuständen und deren inadäquater Regulierung anzutreffen. Wir sprechen dann von Kontakt-Vermeidung. Nicht mehr wahrgenommen bzw. vermieden wird

  1. der Kontakt zu den eigenen körperlichen und seelischen oder anderen Bedürfnissen,

  2. eine realistische Einschätzung der Umweltsituation und

  3. die Auseinandersetzung mit ihr im Eintreten für die eigenen Bedürfnisse und im Ringen um eine gute Lösung

  4. ein nachspürendes Wahrnehmen gelungener oder fehlgeschlagener Prozesse, die in Stolz und Dankbarkeit im ersten Fall und einer selbstkritischen, aber dennoch wertschätzenden Haltung sich selbst gegenüber im zweiten Fall münden.

Jeder dieser vier Schritte im Kontaktgeschehen geht mit einem erst ansteigenden und dann im vierten Schritt wieder abfallendem Energie- bzw. Erregungslevel und Gefühlen einher, die ausgehalten oder reguliert werden müssen. Wenn innere das Selbst stützende Mechanismen fehlen, tendieren wir dazu, den Prozess zu unterbrechen, was zu unbefriedigenden Lösungen führt und eine Spannung im Organismus zurücklässt und uns dadurch schwächt.

Genau hier setzt die Gestalttherapie an: der Gestalttherapeut bietet dem Klienten eine sichere Beziehung an, in der schwierige emotionale Prozesse co-reguliert werden. Der Klient erhält emotionalen Beistand, sodass er die Erfahrung machen kann, dass er schwer erträgliche Gefühlslagen aushalten kann, ohne den Prozess abbrechen oder bestimmte herausfordernde Situationen vermeiden zu müssen.

Für die im Folgenden entwickelten Übungen ist zu bedenken, dass sie keinen Ersatz für Therapie darstellen. Sie sind als Anregungen zum Experimentieren gedacht. Bedenken Sie, dass auch einfache Übungen, wenn Sie mit Bewusstheit durchgeführt werden, starke Reaktionen hervorrufen können. Überfordern Sie sich also nicht!

Die vier wesentlichen Störungsfelder liegen im Bereich des

  1. Vorkontaktes – Kontakt mit dem Körper und den eigenen Bedürfnissen: Körper spüren, sinnliche Wahrnehmung und Erregung zulassen und (aus)halten, Mangel spüren, Bedürfnisse wahrnehmen und Priorisieren.

  2. Der Kontaktanbahnung – Kontakt mit der Umwelt: erforschen von Möglichkeiten und realistischer Einschätzung, um das zu bekommen, was wirklich gebraucht wird und zu erkennen, was schadet.

  3. Aktive Auseinandersetzung und Gestaltung – Kontakt mit der eigenen Aggression als der Kraft für sich selbst einzutreten und Selbstwirksamkeit zu erfahren. Aushalten von Konfliktspannung ist erforderlich. Eigene Position abgrenzen von Erwartungen und Anforderungen der Umwelt.

  4. Nachkontakt – Nachklang und Spüren der Wirkung des vorangegangenen Prozesses. Würdigen der eigenen Anstrengung.

In der Ratgeber-Literatur zur Salutogenese und Förderung der Resilienz finden sich Wege zur Entwicklung von Resilienz wie: Bemühen Sie sich um soziale Beziehungen; betrachten Sie Krisen als überwindbare Probleme; akzeptieren Sie, dass Veränderung Teil des Lebens ist; streben Sie danach, ihre Ziele zu erreichen; entschließen Sie sich zum Handeln; suchen Sie nach Möglichkeiten, um „sich selbst zu finden“; fördern Sie ein positives Selbstbild; betrachten Sie Situationen nüchtern; behalten Sie eine optimistische Erwartungshaltung bei; und sorgen Sie für sich selbst.

Bei solchen Ratschlägen ist immer zu bedenken, dass Ratschläge eben auch Schläge sind, denn genau das, was sie beinhalten, kann der Mensch, der sich einem Stressor ausgeliefert sieht statt ihm resilient zu begegnen, gerade nicht leisten. Er kann nicht für sich selbst sorgen, denn wenn er es könnte, wäre er bereits resilient. Die Ratschläge gehen davon aus, dass es nur einen mentalen Entschluss bedürfte, um resilient zu werden. Was für ein Irrtum, aber nicht nur ein Irrtum, sondern für die Betroffenen auch ein Schlag in den Nacken; denn die Ratschläge unterstellen, dass es ganz leicht wäre, zur Resilienz zu gelangen, wenn der Betroffene nur „wollen würde“.

Welchen anderen Weg wir als Gestalttherapeuten gehen, das zu überlegen, dazu möchte ich Sie und euch gern nun einladen.

1 In der folgenden Darstellung des Konzepts der Salutogenese beziehe ich mich auf die Auswertung von Forschungsergebnissen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter. 2012.

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